Horizont
und so wollen wir heute starten, stammt natürlich aus dem Griechieschen, „horízein“, begrenzen, abgeleitet von hóros, also Grenzstein, Grenze und steht damit absolut im Widerspruch zu Allem was den KunstHofKöpenick ausmacht. Es sei denn, man schaut über den Horizont hinaus.
Und so startete Eva ihr Programm zwar mit „Horizon“, der wie alle ihre Songs in Muttersprache geschrieben ist, aber jede imaginäre Grenze zum Publikum wurde sofort durch ihre mitnehmende Art eingerissen. Eva lebt schon so lange in Deutschland, dass sie ganz wunderbar und unaufgesetzt deutsch durch das Programm führen kann und dem geneigten Publikum damit sehr entgegen kommt.
Dem überwiegenden Teil würde es am Sonntagmorgen doch eher schwer fallen lediglich auf Englisch dem Programm zu folgen. Und so werde ich auch ausnahmsweise einfach die Songtitel für die Überschriften in diesem Bericht ins Deutsche übersetzen.
Was wird es brauchen
für einen weiteren schönen Après Church Sonntag?
- einen schönen Ort (haben wir, Check)
- ein tolles Team (wo, wenn nicht bei uns?)
- eine tolle Künstlerin, die auf unserer Welle schwimmt (wussten wir, sie war ja schonmal da)
- Wetter (Danke Petrus, wieder einmal)
- vielleicht noch etwas Überraschendes?
Ok, das gab es auch! Ursprünglich angekündigt war ja „lediglich” Eva Keretic an Gesang und mit ihrer Gitarre. Und das war ja beim letzten Mal schon allein zauberhaft.
Aber diesmal hatte Eva als Überraschung Fontaine Burnett dabei und wir sind sehr froh, ihn kennengelernt zu haben. Fontaine ist der ultimative Sidekick für Eva.
Locker und flockig als Co-Moderator, ein großartiger Sänger dazu und er brachte (obwohl er eigentlich ein super Gitarrist ist) ein auf dem KunstHof noch nicht gesehenes Instrument mit. Das „Linninstrument”. Schlagt mal in den Weiten des Netzes nach, was das ist. Kurz zusammengefasst ist es ein von Roger Linn konzipiertes Multiinstrument bzw. ein Controller, um alle rechnersimulierten Instrumente dieser Welt spielen zu können. Wenn man kann. Und Fontaine kann, beschränkte sich heute jedoch auf Klavier und Orgelsounds und gegen Ende des Programms auf Schlagwerk.
Damit war aber noch nicht Schluss mit den Überraschungen. Da Fontaine (auch Amerikaner und Nordlicht wie Eva) über Nacht mit dem Wohnmobil angereist war, hatte er seine Frau Marubia dabei. Beide spielten nämlich am Vorabend noch zusammen ein Konzert hoch im Norden.
Relativ
nah lag es also, dass auch Marubia mit ihrem Sopransaxophon sich zu den beiden gesellte und hier und da ein wenig Zucker auf die Songs streute. Und das zum ersten Mal bei Eva, die sich hocherfreut darüber zeigte. Zitat: „Oh wie schööön”.
Manchmal gibt es Dinge, die sich nicht so gut übersetzen lassen (My dear Mr. Singingclub☺)
„Relative“ ist relativ klar, aber „Relatives“ heißt eben auch Verwandte und gerade hier also hakte Marubia das erste Mal mit in den musikalischen Kosmos ein. Und gerade bei uns auf dem KunstHof, der ein Raum für Experimente und vorher Ungehörtes ist, erleben wir es ja immer wieder. Musiker und Musikerinnen haben, wenn sie sich aufeinander einlassen, eben im besten Sinne eine Verwandtschaft. Wenn Musik nicht nur mit den Fingern und dem Kopf gemacht wird, sondern aus der Seele fließt, dann können auch ungeprobt Verbindungen entstehen. Oder vielleicht wird dann in diesen Momenten durch die Musik nur eine schon längst bestehende Verbindung aufgedeckt!?
Mir geht es gut
bei diesem Gedanken. Beim Blick ins Publikum erkenne ich regelmäßig eben auch genau das. Die Verbindung der Musiker untereinander und mit dem Publikum erzeugt dann auch eine Verbindung der Menschen untereinander. Und das ist so wichtig. Gerade in diesen Zeiten der Zersplitterung und des Hass’ geht es darum
Ein kleines bisschen
zusammenzurücken. Die Ellenbogen einzufahren, das Herz zu öffnen und für ein paar Stunden durchzuatmen, gemeinsam zu lauschen, zu lachen, vielleicht auch gemeinsam eine Träne zu verdrücken und zu sehen, dass man nicht allein ist. Und, dass wir alle aus einem Holz sind und die Welt ein Dorf. Und es wäre doch schade, wenn wir die Welt allein den Dorfstammtischen überlassen würden, die sich in den „sozialen“ Medien Bahn brechen.
Ich dachte ich kenne Dich
ist jetzt übertrieben, natürlich kenne ich Eva auch nicht viel besser als ihr, trotzdem bietet sich ja dieser Songtitel an, um mal darauf einzugehen, woher Eva so kommt. (In dem Lied geht es im Übrigen um Scheidung und um die Erkenntnis, jemanden nach 30 Jahren völlig neu zu sehen, aber ich schreibe lieber über Eva ☺)
Geboren in New York, klar soweit, aber Achtung – Anschnallen…ihr Großvater kommt aus Potsdam und wurde, als er 14 Jahre alt war, von der Familie zum Geldverdienen in die neue Welt geschickt, ihre Großmutter stammt aus Irland, und der Vater aus Ungarn. Viele Wurzeln also und eine Anekdote dazu am Rande. Als ich selbst in den 90ern in New York war, gingen mir die Augen (und das Herz) über, weil man in dieser Stadt so wunderbar sehen konnte, was es heißt, wenn sich alle Menschen dieser Welt über Generationen vermischen. Die Angst mancher Menschen davor ist grotesk. Vielleicht ist das sogar die von Anfang an angelegte Bestimmung des Menschen, welche dann irgendwann darauf hinausläuft die beste Version des Menschen zu erhalten. Also im besten Fall, wenn wir die Welt nicht vorher kaputt machen, aber was ich da gesehen habe, hat mich in Teilen total umgehauen. Ja, ok, ich habe mich damals auch ein wenig verliebt, aber eben und gerade auch in einen Menschen, der optisch überhaupt nicht mehr zuzuordnen war, weil sich über Generationen mehrere Kontinente und Völker vermischt hatten.
Geleitet von der Liebe
spielt Herkunft genauso wenig eine Rolle, wie Religion, Hautfarbe oder Geschlecht.
Geh mit mir
oder auch, begleite mich. Nur darum geht es. Ein Stück des Weges gemeinsam zu gehen. Im besten Fall sehr lange und bis zum Ende und manchmal eben auch nicht. So lange
kein Bedauern
bleibt, es nichts zu bereuen gibt, ist doch alles ok. Und wir z.B. bedauern ganz und gar nicht den heutigen Sonntagsweg mit Eva, Fontaine und Marubia gegangen zu sein. Und dafür mal zwischendurch ein Dank an unsere liebe Petra (U.), von der alle über 70 Vereinsmitglieder auch immer die schönen Geburtstagskarten bekommen. Eva und Petra sind seit 30 Jahren befreundet und bei einer Party von Petra und ihrem Mann Frank hörte Zeremonienmeister Tobias Eva und war begeistert. Petra stellte sehr gern den Kontakt her und das führte dann zum ersten Konzert 2022 und zu dieser wunderbaren Neuauflage mit Überraschungen.
Unten am Wegesrand
im Luisenhain lauschten auch noch neugierige Menschen, einige kamen näher und gesellten sich zu uns. Apropos Wegesrand… Eine der vielen schönen Geschichten Evas an diesem Morgen darf nicht fehlen, nämlich die über ihr spätes Experiment Straßenmusik.
Und das nicht irgendwie, sondern Eva stellte sich eine Straßenmusiktour alphabetisch zusammen. Von Aachen bis Zwickau sozusagen sollte jeder Buchstabe vertreten sein als Anfangsbuchstabe einer Stadt. Ok, mit X gibt es wenigstens Xanten, bei Y muss man dann schon auf ein Dorf ausweichen und landet im Schwarzwald in Yach, einem inzwischen in die Stadt Elzach eingemeindeten Ort, der in der Tat der Einzige ist, der in Deutschland mit einem Y beginnt. Ein paar lustige und/oder herzliche Anekdoten aus dieser Straßenmusikzeit gab es also als Kompott und trotzdem, auch dieser Vormittag ging kurzweilig und gefühlt viel zu früh nun seinem Ende entgegen.
Natürlich mit der Erklärung unseres Konzeptes durch den Onkel mit der Laterne, dass Applausometer für den kurzen, mittleren und langen Applaus und die Vorstellung unserer Geldsammelkinder Anna und Wilma. Danke an euch, danke Petrus, danke Petra, danke liebes Publikum, danke Eva, Marubia und Fontaine für die Reise, die Zugaben und die gute Energie, denn:
Das Leben ist schön. Die meisten von uns können das wirklich behaupten.
Und wem es nicht gut geht, der kommt bitte sonntags zu uns und lässt sich tragen, sich zu einem Konzert ohne Bezahlschranke einladen, der begibt sich bitte unter Menschen, statt sich einzuigeln. Zum Beispiel bei NERVLING. Denn:
Weiter geht es am Sonntag mit
https://kunsthofkoepenick.eu/veranstaltungen/apres-church-auf-dem-kunsthofkoepenick-nervling-2/
Gez. Plisch
Après Church, die nachbarschaftliche verbindende Veranstaltungsreihe zum Erleben von Kultur bei Kaffee, Wein, Bier oder alkoholfreien Getränken.
Jeden Sonntag 11.30Uhr bis 13.00Uhr auf dem KunstHofKöpenick.
HÖRT IHR DIE GLOCKEN, MACHT EUCH AUF DIE SOCKEN!
Alt Köpenick 12 – Einlass ab 11Uhr – EINTRITT FREI –
Alle Konzertberichte des Jahres zum Nachlesen findet ihr auf unserer Website unter dem Reiter APRÈS CHURCH – Alle Konzertberichte
https://kunsthofkoepenick.eu/category/allgemein/
Fotos: Dietmar Marquardt, Norbert Milzow